Die Raumfahrtindustrie steht am Beginn einer neuen Ära im digitalen Engineering und Informationsmanagement. Dabei setzt etwa die ESA (Europäische Weltraumorganisation) ganz auf Model Based Systems Engineering (MBSE). Vor diesem Hintergrund begann Beyond Gravity Austria kürzlich mit der Modellierung und lässt sich dabei von LieberLieber unterstützen.
Philip Olbrich arbeitet in Wien bei Beyond Gravity Austria in der Division „Satellites“ als Embedded Software Engineer für die Business Unit „Electronic Solutions“ : “Da wir regelmäßig in Projekten der Europäischen Weltraumorganisation ESA mitarbeiten, haben wir uns nun mit LieberLieber einen erfahrenen MBSE-Partner gesucht, um den passenden Einstieg zu finden. In einem‘Proof of concept`‘ betrachten wir eine Werkzeugkette mit Enterprise Architect, Sysmod Toolbox, Git und LemonTree genauer und wurden dafür von Philipp Kalenda in zwei Workshops vorbereitet.“
Dr. Konrad Wieland, Geschäftsführer von LieberLieber: „Gerade im Bereich der Raumfahrt werden an die Systeme höchste Anforderungen gestellt, die sich mit MBSE gezielt und revisionssicher erfüllen lassen. Daher begrüßen wir die klare Fokussierung der ESA auf MBSE, um so die Komplexität moderner Raumfahrtsysteme weiter im Griff behalten zu können. In der Zusammenarbeit mit Beyond Gravity Austria bietet sich uns die Möglichkeit, unsere jahrzehntelange Erfahrung mit Methoden und Werkzeugen einzubringen und zu zeigen, dass MBSE der richtige Ansatz zur Bewältigung der hier auftretenden Anforderungen ist.“
ESA setzt auf modellbasierte Systementwicklung (MBSE)
Die Raumfahrtindustrie ist derzeit also auf der Suche nach neuen Methoden, um Informationen und Projekte zu verwalten, bei den verschiedene technische Disziplinen zusammenarbeiten. MBSE bietet einen leistungsstarken digitalen Rahmen für die Darstellung komplexer Systeme. Da hier digitale Modelle in den Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses gestellt werden, sind deutliche Zeit und Kosteneinsparungen erzielbar. Dazu verhilft das gemeinsame Verständnis des Systementwurfs, der es ermöglicht, Ineffizienzen und Fehler aufgrund inkonsistenter Informationen in unterschiedlichen Dokumentationen zu verringern. Die ESA schreibt dazu: „Die Revolutionierung des traditionellen, dokumentengesteuerten Ansatzes der Systementwicklung ist der Schlüssel zur Technologiestrategie und der Agenda 2025 der ESA.
Die ESA strebt eine Verkürzung der Entwicklungszeit für Raumfahrzeuge um 30 % und eine Verbesserung der Kosteneffizienz um eine Größenordnung mit jeder Generation an. Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, bedarf es nicht nur technologischer Verbesserungen, sondern auch eines Wandels im Entwicklungsprozess von Raumfahrzeugen und in der Denkweise der Ingenieure. Dies kann mit MBSE erreicht werden.“
Einstieg in MBSE im Rahmen eines konkreten ESA-Projekts
Die Zusammenarbeit zwischen Beyond Gravity Austria und LieberLieber findet im Rahmen eines konkreten ESA-Projekts (Titel: „Digitale Strahlformung für GNSS-R Radio-Okkultations-Nutzlast“) statt, in dem Software für Satelliten entwickelt wird. „Da unser Aufgabenbereich im Projekt nicht zu komplex ist, eignet es sich sehr gut für die Einübung im Umgang mit den neuen Methoden und Werkzeugen. Die Vorschriften für Software in Satelliten sind naturgemäß sehr streng, vor allem auch im Hinblick auf die Validierung und Verifikation. So erhalten wir in einem konkreten Projekt Einblick in die neuen Möglichkeiten, die sich uns mit MBSE erschließen“, erläutert Olbrich.
Philipp Kalenda, Leiter Consulting bei LieberLieber: „Für mich ist es immer wieder interessant, unterschiedlichste Herausforderungen bei der Entwicklung komplexer Systeme in verschiedenen Branchen kennenzulernen. Obwohl die Systeme in verschiedenen Domänen (Medizintechnik, Luft- & Raumfahrt, etc.) eingesetzt werden, haben sie doch einiges gemeinsam: es gibt mit der Zeit immer mehr Subsysteme, Komponenten und vor allem verschiedene Disziplinen (Software, Hardware, Mechanik, etc.) die eng miteinander verbunden sind. Um dieses Zusammenspiel der unterschiedlichen Disziplinen besser zu verstehen, eignet sich eine abstrahierte Darstellung des physischen Gesamtsystems durch ein Systemmodell. Ich freue mich, Beyond Gravity Austria bei der Einführung eines modellbasierten Ansatzes zu unterstützen und bin gespannt auf die weitere Zusammenarbeit.“
„Agenda 2025“: MBSE für die Europäische Weltraumorganisation (ESA)
„ESA-Projekte zeichnen sich durch einen hohen technischen Aufwand aus, der von geografisch verteilten Teams der ESA und der Industrie geleistet wird. Die digitale Durchgängigkeit während des gesamten Lebenszyklus von Projekten ermöglicht eine erhebliche Reduzierung der Kosten und des Aufwands und wird die Zeitpläne verkürzen. Die ESA wird daher ihr gesamtes Projektmanagement digitalisieren und die Entwicklung digitaler Zwillinge ermöglichen, sowohl für das Engineering durch den Einsatz von Model Based Systems Engineering als auch für die Beschaffung und die Finanzen, um eine vollständige Kontinuität mit der Industrie zu erreichen.“ – ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher (Agenda 2025).
Die MB4SE Initiative „Model Based for Systems Engineering“ ist eine Initiative zum Zusammenschluss der Raumfahrtsystemtechnik, um modellbasierte Systementwicklung in europäischen Raumfahrtprojekten voranzutreiben. Um die industriellen und wissenschaftlichen Projekte in diesem Umfeld besser zu koordinieren, sollen sie in der Plattform „Model Based for System Engineering (MB4SE) for Space“ gebündelt werden. Zentrale Aspekte sind dabei eine semantische Referenzbasis in Form einer Weltraumsystem-Ontologie und ein gemeinsames Modell-Hub-Konzept. Die Plattform dient der Durchführung technischer Diskussionen und als Anlaufstelle für alle beteiligten Interessengruppen. Dazu wird eine Beratungsgruppe eingerichtet, die den Arbeitsplan für die technischen Diskussionen steuert. Zusätzlich soll sie auch die Verwaltung des konzeptionellen Datenmodells sicherstellen.