Weil der Markt des Sondermaschinenbaus nicht die flexible Automatisierungslösung umsetzen kann, die Primus Präzisionstechnik benötigt, beschließt das Team kurzerhand, das Robotik-Projekt selbst umzusetzen. Die dafür notwendigen Software-Lösungen kommen von ArtiMinds Robotics in Karlsruhe und ermöglichen dem Unternehmen den selbstständigen Einstieg in die Robotik.
Primus Präzisionstechnik im niedersächsischen Bückeburg hat sich seit der Gründung 1978 einen guten Namen als unabhängiger Systemlieferant für effiziente Antriebslösungen erarbeitet. Das familiengeführte Unternehmen beschäftigt 110 Mitarbeiter, die Sondergetriebe mit Leistungen bis 100 Watt für Kunden aus dem Automotive-Bereich, der Gebäudeautomatisierung und der Medizintechnik entwickeln und fertigen.
„Wir sind ein Problemlöser“, sagt Geschäftsführer Thorsten Völz. „Sozusagen ein Ideendienstleister mit angegliederter Fertigung mit großer Fertigungstiefe. Die Möglichkeiten in unserem Haus umfassen Drehen, Fräsen, Montieren und alle dazugehörigen Unterprozesse.“ Das Unternehmen lebt die vielbeschworene Industrie 4.0 schon seit vielen Jahren und automatisiert und digitalisiert möglichst viele Prozesse, mit dem Ziel, auch bei großen Stückzahlen die Wiederholgenauigkeit und Prozessstabilität hoch zu halten.
So wie bei einem kraftgeregelten Pick-and-Place- bzw. Fügeprozess, bei dem aus mehreren Einzelteilen Kleingetriebe für einen Kunden aus der Automotive-Branche entstehen: Hier gilt es, drei Wellen und fünf Zahnräder in ein Getriebegehäuse einzubauen. Vor der Platzierung werden die Einzelteile zudem gefettet. Rund 250.000 dieser Getriebe stellt Primus pro Jahr her – bisher manuell. „Hierbei handelt es sich um eine komplexe Applikation mit sehr vielen Prozessschritten und unterschiedlichen Komponenten, die zu einem Getriebemotor, der später luftdicht verschlossen wird, zusammengefügt werden müssen“, erzählt Völz. „Besonders wichtig ist deshalb, dass alle Bauteile vollständig und korrekt verbaut werden. Und da ist der Mensch leider manchmal das schwächste Glied.“ Um die Qualität der Produkte und die Prozessstabilität zu erhöhen und Kosten durch eine bessere Dossierung des Fettes zu reduzieren, entschied sich Primus, diesen Produktionsschritt roboterbasiert zu automatisieren. „Wir sind letztlich daran gescheitert, uns eine hierfür geeignete Sondermaschine bauen zu lassen“, führt der Geschäftsführer aus. Schuld war die hohe Variantenvielfalt und dass die für die Anwendung gewünschte Intelligenz nicht für das geplante Budget zu haben war. „Für eine Standardapplikation hätten wir die perfekte Maschine bekommen, die taktoptimiert 100.000 Teile produziert“, erzählt Völz. „Aber dann hätten wir auch keinen Einfluss auf Änderungen, Modifikationen und die verschiedenen Varianten gehabt“, erklärt Sascha Schwier, Technischer Leiter bei Primus Präzisionstechnik. „Wir mussten also entweder die Anlage komplett auf Genauigkeit auslegen, oder mit Intelligenz ausstatten, um damit auch andere Produkte fertigen und verschiedene Prozessschritte abbilden zu können.“ Die Entscheidung fiel auf die zweite Option. „Uns ging es bei der Automation nicht um eine Taktzeitoptimierung, sondern um die Steigerung der Prozessgenauigkeit und eine stabile Wiederholgenauigkeit. Weil wir bei der Umsetzung und Hardwareauswahl flexibel bleiben wollten, haben wir trotz noch fehlender Robotik-Vorerfahrung unsere erste Roboterzelle hausintern in Angriff genommen“, resümiert der Geschäftsführer.
Software-Lösung von ArtiMinds als Schlüssel
Zunächst begann das Team mit der Beschaffung der passenden Hardware. „Mittels Sensorik haben wir dem Roboter das Sehen und Fühlen beigebracht“, erzählt Völz. Primus stattete den Roboter mit einer Kamera und einem Kraft-Momenten-Sensor aus. Um die Zahnräder und Wellen zu handhaben, kam noch ein individuelles Greifersystem dazu. Der Schlüssel für das reibungslose Zusammenspiel aller Teile war die herstellerunabhängige Softwarelösung ArtiMinds Robot Programming Suite (RPS). „Wir haben nach einer Programmierumgebung gesucht, um nicht direkt den Quellcode anfassen müssen“, sagt Völz. „Dabei fungierte die RPS als Schnittstelle, die die komplette Peripherie miteinander koppelt.“
Mit der Software lassen sich auch komplexe sensoradaptive Anwendungen einfach umsetzen. Anwender programmieren den Roboter per Drag-&-Drop aus vordefinierten Bausteinen – den Robotercode dazu schreibt die Software selbstständig. Dabei sorgt ArtiMinds RPS für eine nahtlose Verzahnung von Online- und Offline-Programmierung. So lassen sich flexible Automatisierungslösungen erstellen und elektrische Greifer, Kraftsensoren, Bildverarbeitungssysteme und die SPS-Kommunikation ganz einfach integrieren. Schwier erklärt: „Damit der Prozess robust läuft, muss das System Toleranzen eigenständig ausgleichen können. Das gelingt nur durch eine intelligente Kommunikation der Komponenten untereinander. Wir haben quasi unsere eigene Sondermaschine gebaut, die wir nun dank den Algorithmen der ArtiMinds RPS trotzdem flexibel einsetzen können.“
„Die Softwarelösung von ArtiMinds war ein wichtiger Baustein, um unsere Anforderungen zu realisieren,“ sagt Völz. „In einem klassisch programmierten Umfeld hätten wir deutlich mehr Testzyklen und einen deutlich längeren Entwicklungszeitraum benötigt.“ Besonders die übersichtliche und intuitive Programmierung mit der RPS hat Primus überzeugt. „Sie bietet viele hilfreiche Funktionen, die das Arbeiten erleichtern, wie z.B. die 3D-Simulationsumgebung oder die Möglichkeit, je nach Anforderung zwischen Online- und Offline-Modus hin- und herzuwechseln“, zählt Michael Castien, Roboterprogrammierer bei Primus Präzisionstechnik, auf. „Der ganz große Vorteil ist aber, dass ich mit einer einzigen Plattform alle Komponenten und Sensoren wie Roboter, Kamera, Kraft-Momenten-Sensor, Greifer und Motoren harmonisch in den Prozess integrieren und steuern kann. Die RPS vereinfacht diesen Schritt und sorgt für eine einheitliche Programmierstruktur.“ Auch bei der Lösung von kniffligen Herausforderungen kann die Software mit ihren Wizards schnelle und einfache Hilfe leisten. „ArtiMinds RPS ist sozusagen eine prall gefüllte Werkzeugkiste“, sagt Castien. „Daraus konnten wir uns bedienen und kamen schnell und sicher zum gewünschten Ergebnis, etwa mit der Spiralfunktion.“ Dieser in der RPS angelegte Baustein ermöglicht dem Roboter die kraftgeregelte Suche nach dem Steck- und Fügeplatz für die Zahnräder und Wellen. „Wenn es für eine benötigte Funktion mal keinen Baustein gab, hat der ArtiMinds-Support immer schnell und unkompliziert geholfen, einen Lösungsweg zu finden“, lobt Castien.
Analyse, Optimierung und Fernwartung mit ArtiMinds LAR
Um die Anlage im laufenden Betrieb im Auge zu behalten, setzt Primus ein weiteres Produkt aus dem Hause ArtiMinds ein: die Analysesoftware Learning & Analytics for Robots (LAR). Diese Software liefert detaillierte Auswertungen und Daten über den Produktionsprozess. „Die Informationen basieren auf den Roboterbewegungen, den Kraft-Momenten-Messungen, den Bildverarbeitungsergebnissen oder den Fehlercodes“, erklärt Raimund Hartelt, Senior Business Development Manager bei ArtiMinds. „Diese werden automatisch erhoben und in der Datenbank gespeichert. Angereichert mit Prozessinformationen aus den RPS-Bausteinen kann Primus die Daten zielgerichtet mit direktem Blick auf die zu lösende Aufgabe interpretieren und Optimierungen ableiten. Und weil unterschiedliche Nutzer unterschiedliche Daten und KPIs benötigen, kann jeder sein Dashboard genau auf seine Anforderungen abstimmen.“
Primus nutzt die LAR einerseits zur Prozessüberwachung und zur Fehlerfindung bzw. -analyse, andererseits auch, um die Prozessstabilität in Kennzahlen umzuwandeln. „ArtiMinds LAR ermöglicht es uns, bei der Prozessoptimierung und der Fehlersuche gezielt vorzugehen“, sagt Schwier. „Damit entfällt das Im-Trüben-fischen.“ Das sieht auch Castien als großen Vorzug: „Bei der Fehlersuche gibt es ja immer so eine Art Vorführeffekt. Sobald man vor der Anlage steht, tritt der Fehler nicht mehr auf. Mit der LAR kann ich alle Daten automatisiert erfassen und habe dank der lückenlosen Dokumentation den Fehler innerhalb kurzer Zeit eingekreist.“ Außerdem lassen sich Optimierungspotentiale, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen wären, einfach objektivieren. Castien erklärt: „Wir haben zwei Roboter mit dem gleichen Programm. Die Analysedaten der LAR haben gezeigt, dass es aber trotzdem Unterschiede gibt, und die beiden Systeme entgegen unserer Annahme nicht gleich laufen.“ Mittels dieser Daten konnte Castien die Präzision bis im 100stel Bereich nachjustieren und nach einigen Durchläufen erneut auswerten, ob die Änderungen den gewünschten positiven Effekt erzielt hatten.